Die Geschichte der Rielingshäuser Kelter

 

Vortrag von Stadtarchivar Albrecht Gühring am 6.5.2018

 

 

 

Wo sich heute die Rielingshäuser Kelter befindet, stand bereits vor rund 650 Jahren ein solches Gebäude. Ihre erste Erwähnung erfährt diese spätmittelalterliche Kelter im Urbar von Stadt und Amt Asperg, das zwischen 1351 und 1355 angelegt wurde. Solche Urbare oder Lagerbücher listen auf, was einer bestimmten Herrschaft in einem bestimmten Gebiet an Besitz und Einkünften zusteht. Genannt wird ein „Kelterlin“, also eine kleine Kelter. Es war eine sog. Bannkelter, d.h. die Rielingshäuser Weingärtner durften ausschließlich hier ihre Trauben keltern.

 

Während heutzutage die örtliche Bebauung an die Kelter herangerückt ist, war sie über Jahrhunderte eine sog. Feldkelter, d.h. sie stand außerhalb des Dorfes bei den Weinbergen. So hatte man kurze Transportwege für die Trauben. Bereits 1568 wird als Zufahrt der Kelterweg genannt.

 

Vorsichtigen Schätzungen zufolge hatte Rielingshausen damals etwa 200 Einwohner und etwa 50 Gebäude. Der Weinbau war im 14. und 15. Jh. landesweit im Aufschwung begriffen war, sodass die Rielingshäuser Weinberge voll ausgenutzt werden konnten. Es gab natürlich auch benachteiligte Gemeinde, so beispielsweise das damals arme Erdmannhausen, das keine Südhänge besaß. Doch zeigte man sich in Rielingshausen und Kirchberg solidarisch: beide Gemeinden besaßen Weinberge in der Gemarkung Steinberg, die den Erdmannhäusern zur Bewirtschaftung überlassen wurden.

 

Neben der Grafschaft Württemberg war auch das Backnanger Stift seit unbekannter Zeit Grundherr in Rielingshausen. Schon 1393 besaß es Weinberge in der Röthelhälden, am Alten Berg und auf dem Mühlberg. Der Einfluss des Stiftes wurde so wichtig, dass es 1453 von Graf Ulrich V. von Württemberg die Kirchen in Rielingshausen, Benningen und Kirchberg mit sämtlichen Rechten erhielt. Dazu gehörte auch nahezu der gesamte Weinzehnt der hiesigen Markung. Einen kleinen Anteil hatte auch das Stift Oberstenfeld inne.

 

Im Lagerbuch der Kellerei Marbach von 1521wird unsere Kelter zum zweiten Mal erwähnt. Die Kelter vor dem Dorf hatte zwei Kelterbäume, also Pressen. Die Herrschaft unterhielt das Kelterhaus, ebenso sorgte sie für die Instandhaltung der Butten und Kelterbäume und führte größere Baumaßnahmen durch. Andrerseits musste der jeweilige Rielingshäuser Zimmermann, der die Kelter gepachtet hatte und der von der Kelterbenutzung bezahlt wurde, das sog. „schließend Geschirr“ machen, wozu er von der Herrschaft das Holz erhielt. Letztere hatte für Ihre Aufwendungen Anspruch auf den 30. Teil des gekelterten Weins, den sog. Zehnt- oder Kelterwein.

 

Übrigens werden in diesem 1521 angelegten Lagerbuch die ersten Angehörigen der Familie Wildermuth in Rielingshausen genannt. Nur die Familie Lauterwasser ist länger ansässig.

 

Auch im 16. Jh. blieb der Weinbau eine der wirtschaftlichen Haupteinnahmequellen. Als weiße Trauben wurden in unserer Gegend Traminer, Gutedel, Muskateller und Veltliner angebaut. Die roten Traubensorten, die weniger Verbreitung fanden, waren Klevner und Burgunder. So blieb es nicht aus, dass 1579 ein neuer Kelterbaum, also eine neue Weinpresse, eingebaut wurde. Die Lagerbucherneuerung von 1583 nennt jetzt sogar vier Kelterbäume.

 

Man kann davon ausgehen, dass zur Aufnahme der Pressen die Kelter umgebaut oder sogar neu gebaut werden musste. Darauf deutet ein Inschriftstein hin, der in Zweitverwendung im jetzigen Keltergebäude eingemauert war. Er zeigt die drei württembergischen Hirschstangen mit der Zahl 15. Da der zweite Teil des Steins fehlt, ist lediglich eine Datierung ins 16. Jahrhundert möglich.

 

Der Dreißigjährige Krieg brachte den Weinbau nahezu zum Erliegen, obwohl die Kelter den Krieg unbeschadet überstand. Sie wird 1649 als außerhalb des Dorfs stehende Kelter mit vier Bäumen und einem angebauten Zehnthäusle erwähnt. 1659 werden nur noch zwei Kelterbäume genannt. Vielleicht wurden aufgrund des zurückgegangenen Weinbaus zwei Pressen verkauft. 1679 werden jedenfalls wieder drei Bäume erwähnt.

 

Die Kelter wurde wohl beim Franzoseneinfall 1693 stark in Mitleidenschaft gezogen, denn um 1699 wurde das Dach des damals baufälligen Gebäudes neu gedeckt und 1716 beratschlagte man über Reparatur und Vergrößerung des Gebäudes. Wegen der niedrigen steinernen Sockelmauer und des großen schweren Dachs musste die Kelter bereits abgestützt werden, da „mann Leibs und Lebens darinnen nicht sicher und alle Augenblickh deß Einfalls besorgt seyn muß“.

 

Die Schäden waren offenbar so massiv, dass im Januar 1717 ein Kostenvoranschlag in Höhe von 620 Gulden für den Abbruch und Wiederaufbau des damals rund 30 Meter (104 Schuh) langen und stark 14 Meter (50 Schuh) breiten Gebäudes gefertigt. Dabei sollten die vier Kelterbäume, die seither in der Länge gestanden hatten, abgebrochen und wohl der Breite nach wieder aufgebaut werden. In den Bau des jetzt fast doppelt so langen Gebäudes konnten rund 12 Meter alte Mauer integriert werden. Die vier Türen wollte man aus den alten Quadern herstellen. Der bereits genannte Inschriftstein ist wohl einer dieser Quader. Er wurde bei einem neueren Umbau der Westtüre gefunden.

 

Nach den im Lagerbuch des 16. Jahrhunderts festgehaltenen Ordnungen war das herzogliche Amt Marbach zur Bezahlung des Gebäudes und der Kelterbäume verpflichtet. Das Bau- und Kelterholz musste die Gemeinde in Fronarbeit gegen Brot und Wein herbeifahren. Die zu verpflichtenden Amtsorte baten zwar um Schonung wegen der zahlreichen Fronarbeiten im neu zu bauenden Ludwigsburg, erhielten aber einen abschlägigen Bescheid. Für den Neubau wurden u.a. aus dem Reichenberger Forst 14 Eichen zu Ständern und 196 Tannen in ca. 90 Fuhren herbeigeschafft. Weiter verbaute man 150 dreirössige Wägen Stein sowie rund 15.600 Dachschindeln. Die Rielingshäuser mussten davon in Fron 88 Wagen Stein übernehmen. Brot und Wein dafür bezahlte zunächst die Gemeindeverwaltung, die große Schwierigkeiten hatte, das Geld von der Kellerei Marbach wieder erstattet zu bekommen.

 

Der Abbruch der alten Kelter erfolgte Im Frühjahr 1718. Das neue Gebäude war wohl zur Weinlese 1718, also vor 300 Jahren, fertig. Zugleich durfte noch ein fünfter Kelterbaum aufgestellt werden.

 

Das an die Kelter angebaute alte Zehnthäusle, das je zur Hälfte der Kellerei Marbach und dem Stift Backnang gehörte, war ebenfalls „ganz verfault“ und wurde neu errichtet. Der Anbau beherbergte zwei Kelterhäusle und eine Kelterstube, in welcher sogar ein Kachelofen stand.

 

Der Weinbau war damals neben dem Getreideanbau und der Viehzucht die Haupterwerbsquelle der Rielingshäuser. 1716 wurden, ohne die frisch umgebrochenen, 136 Morgen Weinberge bewirtschaftet. Das entspricht heute über 40 Hektar.

 

Der Boden, so erfahren wir 1728, sei zu leicht für den Weinbau und müsse mit Dünger gerichtet werden. Auch bestand stets die Gefahr von Sommerfrösten. Die 1728 im Handel abgesetzte Weinmenge betrug rund 12.000 Liter (41 Eimer) Bis 1769 hatte sich die Weinbergfläche auf rund 145 Morgen vergrößert.

 

Das Zehnthäusle an der Kelter wurde 1791 abgebrochen und vom Stift Backnang gemeinsam mit der Kellerei Marbach neu erbaut, wobei für das Stift ein besonderes Stübchen eingerichtet wurde.

 

Im Rahmen der Verwaltungsreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts war für die staatliche Kelter das Kameralamt Großbottwar zuständig. Dieses verkaufte das Gebäude 1842 für günstige 800 Gulden an die bürgerliche Gemeinde Rielingshausen. Wie wertvoll das Innenleben war zeigt die Feuerversicherungseinschätzung von 1846. Das mit fünf Kelterbäumen ausgestattete Gebäude samt Anbau mit Kelterstube und zwei beheizbaren Stübchen wurde auf stattliche auf 6.000 Gulden geschätzt. Anstelle der Kelterknechte, denen früher Brot und Wein zustand, wurden seit 1843 ein Zimmermann,drei Kelterknechte und ein Kelterschreiber gegen Lohn beschäftigt.

 

1858 brach man eines der Kelterhäuschen ab. Anstelle der alten östlichen Sockelmauer wurde dafür ein neues Kelterstübchen eingerichtet. Im Zuge des technischen Fortschritts kaufte man zwei neue Schnellpressen aus Eisen, für die einer der alten Kelterbäume abgerissen wurde.

 

Wegen der geringen Rebfläche wurden 1922 trotz einer reichlichen Weinernte der letzte alte Kelterbaum und zwei alte eichene Pressen abgebaut. 1928 erfolgte noch der Verkauf einer eisernen Presse, die seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden war.

 

Nun gab es Platz und die Kelter konnte erstmals auch für andere Zwecke genutzt werden. 1926 fand die Fahnenweihe des 1913 gegründeten Gesangvereins „Sängerlust“ mit großem Festzug und Kinderfest an der Kelter statt. Dem 1923 gegründeten Turnerbundes wurde, wie dem bereits bestehenden Turnverein, die Kelter für Übungen zur Verfügung gestellt. Offenbar war diese Turnhalle sehr beliebt, denn bei der Schulprüfung im März 1931 wurde gerügt, die Eltern sollten „auf ihre Kinder Acht haben und nicht dulden, dass ihre Buben noch spätabends in der Kelter zum Turnen gehen“.

 

Auch die Nationalsozialisten drängten in die Kelter. Die Hitlerjugend durfte ab Oktober 1934 in der oberen Stube der Gemeindekelter ihre Versammlungen abhalten.

 

In der Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg waren in der Kelter auch Flüchtlinge und sozial schwache Familien untergebracht.

 

Genutzt wurde die Kelter jedoch immer noch wie seit vielen Jahrhunderten von den Rielingshäuser Weingärtnern. Diese Ära ist inzwischen beendet, sonst könnten wir jetzt nicht hier sein.

 

Die letzte große Sanierung geschah vor rund einem Vierteljahrhundert. Von 1990 bis 1992 wurde das Keltergebäude in anderthalbjähriger Bauzeit grundlegend umgebaut und renoviert. Der Mittelteil für die Weingärtner blieb erhalten. Der Anbau im Süden beherbergt seitdem einen Veranstaltungsraum, eine Küche und ein Büro.

 

Das größte Anliegen war damals der Einbau eines Heimatmuseums. Im Zuge der 1200-Jahr-Feier 1976 entstand der Förderverein für ein Heimatmuseum in Marbach-Rielingshausen. Unter der Regie von Paul Hild wurde im Dachgeschoß des Feuerwehrgerätehauses eine heimatkundliche Sammlung eingerichtet.

 

Unter seinem bis 1995 amtierenden tatkräftigen Ersten Vorsitzenden Hans Wahl setzte es sich der Verein zum Ziel, ein Heimatmuseum in einem historischen Rielingshäuser Gebäude einzurichten. Ursprünglich war hierbei an ein altes Bauernhaus gedacht. Der Plan wurde jedoch aufgegeben, als der Marbacher Bürgermeister Heinz Georg Keppler vorschlug, das Museum in der historischen Rielingshäuser Kelter unterzubringen.

 

In jahrelanger Arbeit trug der Verein über tausend Exponate als Grundstock für das Museum zusammen. Von 1992 bis Anfang 1994 wurde durch die Volkskundlerin Dr. Susanne Eules eine Museumskonzeption erarbeitet und realisiert. Im Vordergrund stand dabei die Geschichte des örtlichen Weinbaus und des dörflichen Lebens in der Rielingshäuser Vergangenheit.

 

So entstand im Erdgeschoß ein Gang durch den jahreszeitlichen Weinbau, der  in Form von Tafeln und Exponaten die mit dem Rielingshäuser Weinbau zusammenhängenden Werkzeuge, Tätigkeiten, Einrichtungen und Gebräuche zeigte. Dieser Teil ist leider abgebaut.

 

Im Obergeschoß finden sich hauptsächlich volkskundliche Gegenstände zu den Themen Hauswirtschaft, Handwerk, Vereine sowie Kirche und religiöses Leben. Besonderer Wert wurde hier auf die auch räumlich sichtbare Gliederung in Männer- und Frauenarbeit gelegt. Als verbindendes Element war in der Raummitte die ebenfalls abgebaute Spinnstube zu sehen. In solchen Stuben wurden früher sogenannte Lichtkarze abgehalten wurden, bei welchen sich die männliche und weibliche Dorfjugend näher kommen konnte.

 

Das Museum erlebt sein 25-jähriges Jubiläum im nächsten Jahr leider nicht mehr, da es schon seit einiger Zeit geschlossen ist. Die Exponate, die der Verein gesammelt hat, werden jedoch vom Stadtarchiv Marbach verwahrt. Wer weiß, welche Ideen kommende Generationen entwickeln.